Testbericht

Mercedes Benz SL mit Signature Sound im Test

25.11.2012 von Bernhard Rietschel

AUDIO schaute hinter die Kulissen des Mercedes-Benz Signature Sound Programms - und reiste an seinen Entstehungsort, die sagenumwobenen Skywalker Sound Studios in Kalifornien.

ca. 6:45 Min
Testbericht
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Mercedes Benz SL
Mercedes Benz SL
© Hersteller/Archiv

Mercedes ist nicht unbedingt für spleenige, unvernünftig-lustbetonte Projekte bekannt. Umso überraschender wirkt die kleine Aufmerksamkeit, die der schwäbische Autobauer den Käufern des neuen SL ins Handschuhfach legt: Eine DVD mit über zwei Stunden Musik, vom 70er-Jahre-Rockklassiker bis zur Beethoven-Symphonie, Track für Track von den besten Tonmeistern der Welt in einem State-of-the-Art-Studio von Grund auf neu abgemischt - in Surround, und zwar genau so, dass die Stücke auf der optionalen 5.1-Kanal-Anlage des SL ein Maximum an Wirkung entfalten.

Eine akustische Maßanfertigung also, exklusiv für ein sehr teures (mit V8 um 120.000 Euro), nur in überschaubaren Stückzahlen gefertigtes Auto? So viele hoch bezahlte Arbeitsstunden für eine Auflage, die man getrost als "limited edition" bezeichnen kann? Das klingt nicht sehr schwäbisch, aber ganz schön verrückt, und eigentlich ziemlich unglaublich. Um die Leute hinter diesem Projekt zu treffen, machte sich AUDIO auf die Reise nach Kalifornien, denn von dort sprang der Funke, der später zum Signature-Sound-Feuerwerk werden sollte, nach Stuttgart über.

Mr. Surround ist Münchner

Die Idee zum Signature Sound stammt von dem vielfach (unter anderem mit zwei Grammys) ausgezeichneten Produzenten Herbert Waltl, ein studierter Komponist und Pianist, der aus München stammt, mit seiner Firma mediaHyperium aber in Los Angeles und damit nah am Puls der Medienindustrie sitzt. Wer mit Waltl spricht, ahnt, dass dieser Mann vermutlich sogar in 5.1 träumt. Er wirkte bei der Entwicklung der DVD ebenso mit wie bei der Markteinführung der SACD, half bei der Definition neuer Tonformate, unterstützte den Siegeszug der Blu-ray, produzierte unzählige Surround-Musikscheiben in den unterschiedlichsten Standards.

Sogar eine Oper in 3D-Surround hat er komponiert. Surround, das ist für Waltl kein Show-Effekt, sondern der Königsweg, Musik und das, was Komponist und Künstler damit ausdrücken wollten, maximal zur Wirkung zu bringen. Mehr schon eine tiefe Überzeugung als ein Geschäftsmodell. Wenn nur die Unwägbarkeiten auf der Wiedergabeseite nicht wären. Surroundanlagen - vom Micro-Satellitensystem über die THX-Kino-Soundwand bis hin zur High-End-Abhöre aus fünf ausgewachsenen Superboxen - unterscheiden sich klanglich wild, oft kann man sie zudem nicht optimal platzieren, leider sind sie genauso oft auch schlicht falsch eingestellt.


Tonstudio
Ungewohnter Ausblick: Hinter drei Lagen Glas schimmert der "Monitor"-SL auf der Orchesterbühne.
© Archiv

Aus Produzentensicht paradiesisch dagegen die Situation in einem Auto wie dem neuen SL: Eine enorm kompetente Anlage ist bereits eingebaut und präzise auf den Innenraum abgestimmt, die Position des Hörers zentimetergenau vorhersehbar. Und der Fahrer verbringt in diesem mobilen Studio oft mehr Stunden als im heimischen, stationären Hörraum. Waltl bot die Idee mit der maßgeschneiderten Sound-Couture Mercedes an, stieß auf offene Ohren - und auf eine anscheinend ebenso offene Budget-Kasse. Signature Sound war geboren.

Schon bald arbeitete er mit seinen exzellenten Beziehungen eine Liste mit Titelwünschen ab, besorgte die jeweiligen Rechte, verhandelte über Lizenzbedingungen und -preise. Keine leichte Aufgabe, zumal er sich nur mit dem Besten zufrieden gab: Fake-Surround dubiosen Ursprungs, womöglich nur mit Rechentricks aus Stereomaterial erzeugt, sucht man auf Signature Sound vergeblich. Alle Mixe sollten aus den Original-Multispur-Aufnahmen entstehen, jeder Track eine unabhängige kreative Leistung sein.

Skywalker Sound

Entstanden sind die Abmischungen bei Skywalker Sound, dem Tonstudio von Lucasfilm im nordkalifornischen Marin County. Mehr als ein Studio: ein surrealer Ort, eine nahezu autarke, 20 Quadratkilometer große Ranch mit eigener Rinderherde, eigenem Weingut und eigener Feuerwehr. Und eigenen Tomaten, die in der kalifornischen Sonne zu fast schon erschreckender Pikanz reifen, und die beim Lunch in George Lucas' legendärem Hauptgebäude als Vorspeise serviert werden. Da Fotografieren in diesem Haus verboten ist, müssen dürre Worte reichen: Redwood-verkleidete Wohnzimmer in Tennisplatz-Größe - kein Problem.

Mix-Meisterin Leslie Ann Jones und Produzent Herbert Waltl
Beneidenswerter Arbeitsplatz: Mix-Meisterin Leslie Ann Jones und Produzent Herbert Waltl vor dem großen Neve-Mischpult.
© Archiv

Original-Requisiten von Lukes Lichtsäbel bis zu Indiana Jones' Peitsche - wohin das Auge schaut. Und eine für Recherchen genutzte Bibliothek auf zwei Ebenen mit 10-Meter-Buntglaskuppel, unter der man einfach in ein Sofa sinken will, um im feurig gefilterten Mittagslicht in irgendeinem seltenen Band über die Geschichte der französischen Infanterie- Uniform zu blättern. 10 Fuß-Minuten durch Weinberge entfernt liegt das Technical Building, das mehrere Studioeinheiten enthält, außen diskret-ländlich, innen riesig und mit Hightech vollgestopft.

Die Ruhe in den Fluren, Hallen und Lounges täuscht - mehrere große Hollywood-Produktionen waren während unseres Besuchs in Arbeit, hinter verschlossenen Türen und streng geheim natürlich. Das größte Studio war frei - hier begrüßte uns Leslie Ann Jones, Director of Music Recording and Scoring, drei Grammys schwer, die Mutter der Mehrkanal-Mixe. Vor der Kreativität stand zunächst viel Fleiß: Die aus allen Winkeln der Welt als digitale Multitracks eintreffenden Aufnahmen bestanden je nach Alter aus bis zu 150 Spuren. Da es meist keine Dokumentation über die beim Originalmix verwendeten Einstellungen und Effektgeräte gibt, wurden die Tracks zunächst in einer Art "reverse engineering" rekonstruiert und mit der Albumversion verglichen.

Hörtest

Bei einigen Tracks fiel erst in dieser Phase auf, dass Spuren fehlten: Ein paar Backing Vocals von Alanis Morrissettes "Ironic" etwa, die Morrissettes Plattenfirma nach einigem Suchen dann doch noch fand und nachlieferte. Einmal auf Vollständigkeit überprüft, konnte Jones die Songs dann in Mehrkanal-Abmischungen verwandeln, wobei nicht über jeden das gleiche Patentrezept gestülpt wurde, sondern individuell höchst unterschiedliche Stile zum Einsatz kamen. Als Monitore verwendet Skywalker Sound fünf B&W Nautilus 802 in ITU-Aufstellung, im Tiefbass verstärkt durch große Woofer-Würfel unter den drei Frontkanälen.

Für den Autor klang dieses Arrangement fast heimelig, spielen doch im AUDIO-Hörraum fünf der nächstgrößeren 801 in nahezu identischer Anordnung, nur ohne Subwoofer. Umso spannender war es, hier direkt vor dem 72-spurigen Neve-Pult sitzend (das an sich schon eine kleine Pilgerfahrt wert gewesen wäre) den Stereomix von Lady Gagas "Poker Face" mit der frischen Mehrkanalversion zu vergleichen: Das Gaga-Stück ist einer der spektakuläreren Remixe, mit gefühlvollem, aber doch lebendigem Einsatz der Surroundkanäle und gegenüber dem Stereomix drastisch griffigerem Beat.

Andere Stücke, etwa Stings Live-Performance von "Every Breath You Take" schienen größtmöglichem Konzert-Realismus und Live- Atmosphäre klar Vorfahrt gegenüber wilden Surround-Effekten zu geben. Die großen B&Ws spielten beim Signature Sound aber ausnahmsweise nicht die Rolle der Haupt-Monitore. Entscheidend war die Anpassung an die Anlagen-Situation im SL, weshalb Leslie Ann Jones kurzerhand einen Wagen direkt auf die "Scoring Stage" fahren ließ - jene weiträumige, durch drei Panzerglas- Lagen vom Kontrollraum isolierte Bühne, auf der gewöhnlich große Orchester zur Filmvertonung Platz nehmen.

Mercedes SL500
Platz an der Sonne: Ralf Lamberti (Mercedes-Benz), US-Journalist Robert Harley (stereophile), Dr. Stefan Schwehr (Mercedes-Benz) und Mastering-Ingenieur Michael Romanowski bei idealem Cabriowetter vor dem Technical Building.
© Archiv

So konnten die Skywalker in wenigen Sekunden vom Regiestuhl im Kontrollraum auf den Fahrersitz wechseln. Der Klangkontrast dürfte gar nicht so groß ausgefallen sein, denn die SL-Surroundanlage von Harman/Kardon gehört auch im Luxus-Segment zu den besten Erstausstattungs- Systemen. Vor allem besitzt sie eine tonale Abstimmung, die jegliche Vorurteile gegenüber Auto-HiFi Lügen straft, und die in ihrer nüchternen Präzision und der Vermeidung jeglicher Übertreibung eher an gute Studiomonitore erinnert.

Klangbad im Benz

Dem Sound unterwegs kommt ungemein entgegen, dass Mercedes die Mittelton-Treiber höher montiert, als das bisher üblich war. Die Töner liegen in ihrer neuen Position nicht mehr im Schatten des Knies, und der tonale Zusammenhalt bleibt nun auch bei kritischen Übungen erhalten, etwa dem Mozart-Violinkonzert in der überragenden Einspielung von 2L mit Marianne Thorsen und den Trondheimsolistene. Sehr reizvoll auch der Wechsel von der puristischen norwegischen Aufnahme zu der viel opulenteren Beethoven-Fünften mit dem San Francisco Symphony unter Michael Tilson Thomas - der beim Hinfl ug zufällig auf einem Nachbarplatz saß.

Die 2L-typische "mitten im Orchester"-Perspektive gewann in den Bearbeitungen ebenso wie die etwas konservativere Sichtweise mit in der Front lokalisiertem Orchester und zugleich wunderbar realistischer Konzertsaal-Tiefe beim Beethoven. Dass die Anlage nicht nur mit den maßgeschneiderten Exklusiv-Mixen gut funktionierte, zeigte sich mit Apple-Lossless-Material vom privaten iPhone, das sich in der Mittelkonsole andocken und dann über den großen Navi-Bildschirm intuitiv bedienen lässt. Auf verschlungenen Sträßchen durchs melancholisch-nebelverhangene kalifornische Hinterland zu gleiten und dabei Karates "Small Fires" zu hören, das war schon mehr Road Movie als Autofahren.

Mercedes SL500
Ausreichend motorisiert: Der SL550 entspricht dem deutschen SL500, wird also von einem Biturbo-V8 mit 4,7 Litern und 435PS angetrieben.
© Hersteller/Archiv

Zu Recht stolz sind die Mercedes-Ingenieure auf ihr "Frontbass"-System: Für HiFi- Erfahrene ist es eigentlich logisch, dass der Bass idealerweise von vorn und kanalsymmetrisch auf den Innenraum wirken sollte. Nur findet sich hier normalerweise kein vernünftiger Einbauort. Der SL ist aber nicht normal: Seine Konstrukteure haben zwei üppige Tieftöner-Ausschnitte gleich in den Rohbau der Vollaluminium-Karosserie hineindesignt - in den Fußraum, wo die Treiber auf ihrer Rückseite gleich noch die beiden Karosserie-Längsträger als Gehäusevolumen geschenkt bekommen.

Der Bass war dann auch staubtrocken, absolut präzise im Timing und selbst in Original-Proberaum-Lautstärke frei von jedem unnatürlichen Wummern. Die pochende Bassdrum oder der singende Fender Jazzbass blieben das, was sie sind - und waren, als angenehme Nebenwirkung des Einbauorts, von außen deutlich weniger wahrnehmbar als bei anderen Autoanlagen - sofern man das Verdeck geschlossen hielt. Was Mercedes selbst noch nicht weiß: wie es mit Signature Sound weitergehen soll. Frei verkaufen lassen sich die Mixe nicht, weil dafür andere, noch teurere Lizenzen nötig wären.

Viele SL-Kunden wünschen sich freilich Nachschub von der maßgefertigten Edelware - also vielleicht eine Art Subskriptionsmodell? Selbst bei nur einer neuen DVD pro Monat wären die Produktionskosten gigantisch. Eine Ausweitung auf andere, erschwinglichere Baureihen wäre schon wegen der dann größeren Stückzahlen sinnvoll. Der Frontbass bleibt nicht SL-exklusiv, das ist längst beschlossen. Ob in der E- oder B-Klasse dann aber auch diese, eine ähnliche oder gar keine DVD liegen wird, das steht in den Sternen.

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