Aktiv-Lautsprecher
Bose 901 Serie VI im Test
Bose baut seit 45 Jahren einen Lautsprecher, der gängige Lehrmeinungen auf den Kopf zu stellen scheint. Muss die HiFi-Geschichte neu geschrieben werden? Oder ist die legendäre 901 einfach nur eine clevere Konstruktion?
Als die NASA sich aufmachte, den Mond zu erobern, entwickelte Bose-Gründer und Namensgeber Amar Bose, der bereits als 17-Jähriger am renommierten Massachusetts Institute of Technology studieren durfte, einen Lautsprecher, der allen gängigen Regeln zuwider gebaut schien, mit neun Breitband-Lautsprechern, von denen acht von der Rückseite gegen die Hörraumwand strahlen.
Betrachtet man, woher die Idee Boses stammt, kommt einem das schon weniger exzentrisch vor, beschäftigte er sich doch mit der Psychoakustik von Konzertsälen. Tatsächlich macht der Direktschallanteil der Instrumente eines Konzerts nur einen vergleichsweise geringen Teil der Schallenergie aus, die den Hörer erreicht. Der weitaus meiste Schall gelangt über viele Reflexionen aus dem Raum ans Ohr.
Direkt oder reflektierend?
Das Grundkonzept der 901 hat sich seit ihrer Ureinführung 1968 nicht geändert. Neun Breitband-Lautsprecher mit hoher Impedanz werden in Serie geschaltet. Je vier davon emittieren den Schall nach schräg hinten links und rechts und einer gerade nach vorne direkt zum Zuhörer - daher die Bezeichnung "Direct Reflecting". Diese Aufteilung legt die Balance aus direktem zu indirektem Schallanteil fest.
Das klingt Ihnen zu absurd? So etwas kann gar nicht klingen? Schauen wir mal auf die Haben-Seite, dann dreht sich das Ganze schon in eine andere Richtung. Technisch baut Bose mit der 901 ein Array aus Breitbändern: So arbeiten auch modernste Großbeschallungen. Dabei addieren sich die Membranflächen zu einer aktiven Fläche und schon summieren sich die Membranflächen zu einem Riesen-Emitter, der aber immer noch in Sachen Impulstreue und Präzision die Eigenschaften eines guten Mitteltöners besitzt, nun aber plötzlich mit Macht auch tiefen Bass zu übertragen versteht. So kommen aus der getesteten 901-Serie VI V2 ungebremst noch 40 Hertz heraus - und das auch mit ordentlich Pegel. Das kompakte Böxlein schiebt in der Praxis mehr als verblüffende Lautstärken in den Raum - mit gehörig Wucht und Schub. Für die Ortung und den Direkschallanteil ist der einzelne Breitbänder in der Front zuständig, nicht unähnlich dem konventionellen Mitteltöner einer Drei-Wege-Box. Das funktioniert gut.
"Das kann trotzdem nicht klingen, selbst wenn die Amis fast ein Dutzend ,Mitteltöner' koppeln!" Stimmt, daher verwendet Bose auch eine aktive Entzerrung, die den Frequenzgang kompensiert, und damit war Bose vor über vier Jahrzehnten wirklich seiner Zeit sehr weit voraus. Der serienmäßige Equalizer entzerrt den Frequenzgang aber nicht einfach nur pauschal, er erlaubt auch eine sehr weiträumige Anpassung im Bass und in den Höhen, um die tonale Balance dem Hörraum anzugleichen. Zum Tiefbass hin lässt sich der Bass bei stabilen Wänden ebenfalls noch pauschal absenken. Der Equalizer wird in einen Tape-Monitor eingeschleift oder zwischen Vor- und Endstufe. Da die Entzerrung vor der Verstärkung sitzt, ist das per Definitionem eine Aktiv-Ansteuerung. Und weil die Endstufe direkt an den Chassis sitzt, übt sie auch eine sehr direkte Kontrolle aus. Aktiv-Lautsprecher mit Raumentzerrung: Das klingt nun nicht mehr so absurd.
Die 901: eine Aktivbox!
Passend zu den Lautsprechern bietet Bose stilechte Standfüße mit geschwungenen Tellern an (130 Euro je Paar). Diese erlauben eine Kabeldurchführung, falls das Kabel ausreichend dünn ist. Der obere Teller verdeckt das Anschlussterminal und kann an der Box festgeschraubt werden. Entsprechende Körnungen zum Vorbohren sind bereits auf dem Gehäuseboden eingebracht. Einzig ungeschickt ist das Fehlen einer Kabelzuführung im Bodenteller des Fußes. Idealerweise kommt also an der passenden Stelle das Lautsprecherkabel aus dem Fußboden, oder es hat dort ein Anschlussterminal. Sonst muss man dem Fußteller Gummifüße verpassen und das Kabel durch die Füßchen verlegen.
Bose 901 Serie VI: Hörtest
Im Hörraum steht die 901 VI nach Bose-Vorgabe etwa 30 Zentimeter vor der Wand gegenüber dem Hörplatz auf den vergleichsweise niedrigen Ständern. Mit dem Equalizer zunächst auf Neutralstellung bespielen wir Musik vom Server zu. Der erste Eindruck erzeugt eine gewisse Erleichterung, denn die moderne 901 klingt auch signifikant moderner als die historische 901, die ich zuvor beim deutschen Bose-Chef Anton Schalkamp erleben durfte. Die aktuelle Box liefert auf Anhieb deutlich mehr Detailabbildung und Feindynamik, als die Chassis-Technik der Serie II herzugeben vermochte.
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Kein Wunder, wer versteht schon mehr von kleinen Breitbändern als Bose? Und dann kommt auch wieder das Lächeln in das Gesicht der Tester: Wie schon die Vorgänger überzeugt auch die Serie VI mit vollmundigem, fast wuchtigem Sound, den man der kleinen Box kaum zutraut. Trotzdem ist das eine Spur zu viel und die zweite Bass-Entzerrung klingt ausgewogener.
Die 901 vermittelt Spaß
Obwohl die Bose irgendwie anders klingt als alles andere, hört es sich dennoch nie falsch an. Mit dem überproportionalen Diffusschallanteil klingt es fast, als überschreibe sie den Aufnahme-Raum mit dem des Hörraums. Tatsächlich hat man eher den Eindruck, die Musiker spielen im eigenen Raum statt in dem der Aufnahme. Das vermittelt trotz der vergleichsweise unscharfen Bühnenabbildung eine ungewöhnlich hohe Intimität in der Wiedergabe.
Was die 18 Breitbänder vermitteln können, ist aber auch eine gehörige Portion Dynamik, und das vor allem bei Musikpassagen mit einer Portion Attacke. Klavieranschläge und Schlagzeug tönen dann verblüffend plastisch, und trotz gewisser Verfärbungen besitzen auch Stimmen und Saxofon stets Charme und Timbre.
Kurz: Mit der Bose 901 Musik zu hören macht immer noch verdammt viel Spaß!
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